Geschichte der  Familie Roosen

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Die Bost

Die Bost 1936

 

DIE BOST

Kurz vor dem ehemaligen Dockenhudener Elbkurhaus bildet der hohe Teil des Geestabhangs mit seinen Waldungen einen anmutigen, leicht nach innen gewölbten Talkessel. Das Ufer-Vorland, das einst wie in Nienstedten wesentlich größer war, bildet hier eine kleine Anhöhe. Auf dieser erhebt sich unter hohen Bäumen ein vornehmes altes, zweigeschossiges Landhaus, das mit seinem hellgelben Anstrich einen überaus freundlichen Anblick gewährt. Es ist die sogenannte Bost. Sämtliche frontal gelegenen Fenster sind als Türen herabgezogen und tragen im Obergeschoß je einen schmalen Balkon. Ebenso geschmackvoll und harmonisch sind die Innenräume, wobei die große Halle sich vom Erdgeschoß bis zum Dach hinaufzieht: in ovaler Form gebaut und durch schlicht-edle Friese gegliedert. Eine geschwungene Treppe zieht sich in dem Oval empor und mündet in eine Galerie. Hohe Flügeltüren mit feingeschnitzten, ornamentierten Verdachungen führen in die Gesellschaftsräume. Die Abendbeleuchtung erfolgt aus der Kuppel mit verdecktem Licht. Das Haus hält zwischen einer schloßartigen Besitzung und einzeln bürgerlichen Wohngebäude die Mitte. Rundherum erstreckt sich ein großer Rasenteppich. An der Westseite liegt ein Rosarium, in dessen geschützter Lage selbst noch Mitte Dezember die schönsten Rosen blühen. Alte Bäume umgeben die Grasfläche. Spazierwege ziehen sich den hohen Geestrücken entlang bis zur Höhe, wo noch der alte Blankenese-Nienstedtener Kirchenweg verläuft. Von dieser Besitzung, die einst wesentlich größer als heute war und sich östlich bis "Beausite" erstreckte, führt zur Geesthöhe ein allmählich emporsteigender Fahrweg nach der Elbchaussee. Er heißt in ganzer Länge In de Bosto. In früherer Zeit war hier eine Tannenallee, an deren Einmündung in die Chaussee ein Pförtnerhaus stand. Diese Allee und das anschließende Land gehörten zur Bost.
Die Besitzung hieß ursprünglich Die Borstu (= Landspitze, Landzunge). In dem westlich beim Auslaufen der Straße Mühlenberg mündenden Dockenhudener Tal befand sich nahe dem Strand schon im fünfzehnten Jahrhundert eine Wassermühle nebst Mühlenteich. Östlich von dieser errichtete um 1738 Isaac Denner, aus der bekannten Altonaer Mennonitenfamilie stammend, eine Amidamfabrik, die 1750 in eine Ziegelbrennerei umgewandelt wurde. Das Anwesen diente aber zugleich auch als Aufenthalt für ländliche Freuden; der Maler Baltasar Denner soll zeitweilig hier gewohnt haben. Der sanfte Hügelhang am Talkessel des Bost-Geländes war dadurch entstanden, daß Teile des Geestrückens abbröckelten und den Strand erhöhten. Nach verschiedenen weiteren Besitzern erwarb 1797 Henry Simons die Bost. Von ihm wird erstmalig berichtet, daß er das bisher als Fabrikanlage dienende Anwesen als Landsitz ausnutzte; er errichtete hier ein Gartenhaus. Dann besaß die Bost der französische Architekt und Gartenkünstler Ramee, dem wir bereits wiederholt begegnet sind und der selbst viel zu ihrer Verschönerung getan haben mag. Ausführliches aber erfahren wir erst, als um 1809 der Hamburger Kaufmann Berend Roosen II (1744-1872) das Besitztum erworben hatte. Dieser, ein Sohn des Kaufmanns Hermann Roosen III, hatte sich 1781 vermählt mit Marie Kramer (1761-1820), dem einzigen Kind des 1772 verstorbenen Paul Kramer und dessen Ehefrau Catharina, geb. Roosen. Er wurde 1781 Teilhaber der alten Reederei- und Handelsfirma Peter Kramer & Sohn in Hamburg, An den Vorsetzen 4, die damals in "Paul Kramers Witwe & Berend Roosen geändert wurde. Das alte Kramersche Haus, das sogenannte Kranichhaus, wurde im Kriege zerstört. Von seinem Giebel blickte immer noch der Kramersche Wappenvogel über den Hamburger Hafen, ein Kranich mit einer Kugel in erhobener Klaue. Um 1810 zog sich Roosen von der Leitung des Geschäfts zurück und übergab es seinem Sohn Herman Roosen V (1786-1864), der zugleich Diakon der Mennonitengemeinde und Kämmereibürger wurde3~5. Im Sommer wohnte er mit den Seinen auf der Bost. Darüber berichtet sein Enkel, der Tier- und Landschaftsmaler Berend Goos (1815-1885), in seinen Erinnerungen aus meiner Jugend: Vom Elbufer war die Bost durch sogenannte Vorsetzen von 6 bis 8 Fuß Höhe, die zum Teil von rohen Felsblöcken, größtenteils aber von Holz oder auch von Mauersteinen aufgeführt waren, getrennt. Den herrlichsten Wiesengrund trugen diese Vormauern, und von ihnen aus zogen sich, in einer Ausdehnung von etwa 600 bis 700 Schritten, die parkartigen Gartenanlagen bis zur höchsten Höhe des bekannten hüglichten Elbufers. - Es waren da viele verborgene, lauschige Waldplätze, steile romantische Wege, lichte Wiesen, umgeben von ernsten Baumgruppen, und dann wieder die reizenden Durchblicke durch die von der Sonne durchleuchteten Laubmassen auf das tief unten liegende Haus nebst Scheune, und über dasselbe hinweg auf den mächtigen Strom und das fern gegenüberliegende Ufer . . . Die große Ausdehnung der Grenzen hielt so vollkommen jede EinWirkung des weltlichen Getriebes ab, daß einem nie der vollkommene Genuß der Natur gestört werden konnte .. . Bald wurde der Tee an einem Sonntagnachmittag im sogenannten neuen Lusthaus getrunken, welches hart an der Landstraße, die von Nienstedten nach Dockenhuden führt, sich befand, bald geschah dies auf einer der Wiesenflächen, zunächst dem Elbufer, wo man den schiffreichen Fluß vor sich hatte, während wir Kinder mit meinem Vater unterhalb am Strande mit Fischen beschäftigt waren, wohin uns dann der Tee hinunter gereicht wurde.
Das alte Wohnhaus der "Bost" war einfach und durch allerlei Anbauten ergänzt. "Die ansehnlichere, nach Osten liegende Giebelseite enthielt im unteren Teil einen großen Eßsaal, darüber ein Gesellschaftszimmer mit Balkon, die Zeltenstube genannt; dann folgte nach Westen zu der Haupt- und zugleich der höchste Teil des Gebäudes, welcher der Familie zur täglichen Wohnung diente. Im Parterre waren hier nach der Süd-, also Vorderseite, ein größeres Gesellschaftszimmer und die Gärtnerwohnung, nach hinten Küche etc. etc. - Eine Treppe hoch nach vorn Wohnzimmer, nach hinten Schlafzimmer, deren Fenster die Syringenzweige von einem Steinwall herab, der die dicht hinter dem Hause sich hinaufziehenden Anlagen begrenzte, ihre duftenden Blüten zuneigten." Goos erzählt sodann von berühmten Gästen der Bost, von dem bereits erwähnten Maler Balthasar Denner und von dem Schriftsteller Johann Wilhelm von Archenholtz (1745-1812), dem Verfasser der sehr volkstümlich gewordenen "Geschichte des Siebenjährigen Krieges, der nach einem bewegten Leben 1792 in Hamburg ansässig geworden war. Ihm zu Ehren wurde im Garten eine Archenholtz-Bank" geschaffen.
Das ehemalige Fabrikgebäude war jetzt Westflügel des komplizierten Hauses und enthielt u. a. ein grol3es Gesellschaftszimmer, das alte Lusthaus, das nach drei Seiten Aussicht bot. Zu dem schon erwähnten "neuen Lusthaus gesellte sich als drittes das "hohe Lusthaus", das im höchsten Teil des Gartens, nahe dem Pförtnerhäuschen., auf einer kleinen, künstlichen Rasenanhöhe zwischen hohen Lindenbäumen lag. "Es war ein achteckiges Stübchen mit plattem (aussichtsreichem) Dache, auf das man mittelst einer außen angebrachten Treppe gelangt . . . Welch schöner luftiger Platz an heitern sonnigen Morgen"
Von den sonstigen Freuden und Inspektionsreisen weiß Goos noch manche hübsche Einzelheit zu berichten: "Da die Besitzung fast gar kein Ackerland enthielt, so war auch das Halten von Pferden und Kühen unnötig. Wir hatten nur eine schwarze Kuh, schwarze Madam genannt, welche an einer Leine angekoppelt, auf den verschiedenen Rasenflächen weidete, und ein Pferd, ein schönes braunes, wohlgenährtes Tier, das früher Reitpferd gewesen, jetzt aber im Einspänner, einem kleinen leichten Stuhlwagen, oder zum Wasserholen aus der Elbe benutzt wurde . . . Auf dem kleinen Stuhlwagen machten wir nun wohl zuweilen kleine Ausflüge, um Besuche abzustatten, oder auch um eine Koppel, in Isernbrook gelegen, mitten in der Heide, zu beschauen und den Gras- und Kleewuchs zu untersuchen. . . So fuhren wir denn. . . hinaus und erfreuten uns am Gesange der aufsteigenden Lerche, am Wallen des Korns, am Fliegen der Schwalben oder am Nicken der vom Winde bewegten weißflockigen Heidegräser38°.o Die Lebenshaltung war auf der Bost überaus einfach. Für Berend Roosens II schlichte Herzensfrömmigkeit ist folgende Geschichte bezeichnend : Als zu der Zeit der Franzosen die letzteren die Schiffswerft am Reiherstieg, das damalige Roosensche Eigentum, in Brand gesteckt hatten, war tags darauf der alte Wechselmakler Fränckel . . . zu meinem Großvater gegangen, hatte sein Bedauern über den Verlust ausgesprochen und hinzugefügt: >Der Herr Roosen müßte wohl vor Schreck und Kummer außer sich gewesen sein, als er die Feuersbrunst gesehen.< Mein Großvater hatte aber ganz ruhig ihn angeguckt und gesagt: >Wat Fränckel, du geihst doch in dien Schaul un kennst so wenig Gottvertruen? - As ik hüüt Nacht vört Finster stunn un dat Füer anseeg, da heff ik dacht - uns Herrgott hett di dat geben, un nu nimmt het di wedder, he weet aber ümmer, wat för di dat Beste is"
Ferner verdient eine von Goos überlieferte kulturelle Miniatur um seiner selbst willen in diesem Zusammenhang festgehalten zu werden: Ein adliger Herr war bei Roosens zu Gast, von dem die Mutter Berend Goos erzählte, "daß er bei der Tafel alles mit den Fingern, ohne Hülfe von Messer und Gabel, zerlegt und zu sich genommen habe, und als ich, der ich bei meiner Mutter ihm gegenüber saß, hierüber ganz erstaunt ihn fortwährend anstaunte, hatte der hohe Herr mir freundlich zugenickt und gefragt: Du betrachtest dir wohl meine Orden, Kleiner; möchtest du auch wohl solche glänzende Sterne an deiner Jacke haben? Nach dem Essen wurde wie's die damalige Sitte verlangte, eine große silberne Waschschüssel nebst Handtuch den Gästen präsentiert, und natürlich dem Herrn Grafen, dem solche Waschprozedur jedenfalls am notwendigsten sein mochte, zuerst; doch, o Wunder, er lehnte freundlich diese Dienstleistung ab. Meine Großmutter, die damals noch lebte, fand dann aber die halbe Mahlzeit, die der Herr Graf gehalten, auf seinem Stuhlpolster wieder, auf dem rote Beete, Spinat und Sauce eine gar liebliche Landschaft bildeten, und sie war jetzt sehr erfreut über ihre Nachlässigkeit, die weißen leinenen Überzüge dieser Polster abzunehmen vergessen zu haben, welches ihr beim Betreten des Speisezimmers einen argen Schrecken verursacht hatte."
1828, ein Jahr nach Berend Roosens Tod, verkauften die Kinder das Besitztum an den Arzt Dr. Cornelius de Vos, der der Wurmdoktor genannt wurde. Nach ihm erwarb es 1835 der englische Generalkonsul Richard Godefroy (I7~8-i 86q.)~84, ein Sohn des Kaufmanns Peter Godeffroy d. Ä. und Schwager von Richard Parish und von J. L. Thiery. Er war zunächst Kaufmann in London und lebte später als Rentner in Hamburg. Als er aus England in die Heimat zurückkehrte, erwarb er die Bost, ließ das alte Wohnhaus niederreißen und durch den englischen Architekten Patrick Mee das neue, etwas höher liegende, noch heute bestehende Haus errichten.
Nach ihm kam die "Bost" an den Kaufmann Gottlieb Jenisrch (1797 bis 1875), den vierten Sohn des Senators Martin Johann Jenisch (i76o-I8z7). Wiewohl er von der Natur keine äußerlich anziehende Erscheinung erhalten hatte, wirkte er sympathisch durch seine persönlich feine und gütig-vergeistigte Art. Sein Großneffe, der Reichskanzler Fürst Bülow, schrieb u. a. über ihn: Mein Onkel war . . . ein hervorragender Sportsmann, der gleich gut ritt und fuhr. Sein Haus (in Hamburg) war das stattlichste an der Binnenalster, am Jungfernstieg, No. I8. In Mecklenburg gehörte ihm das Rittergut Varchentin mit schönem Schloß und Park . . . " Gottlieb Jenisch bewies, wie aus den von ihm hinterlassenen Briefen hervorgeht, Familiensinn und Hilfsbereitschaft. Auch erfreute er sich ebenso wie sein Bruder, der Senator Martin Johann Jenisch, eines außerordentlichen Respekts. Bülow schreibt weiter: Jenisch war mit einer guten und schönen Frau verheiratet. Sie war eine verwitwete Gräfin Westphalen, eine geborene Lützow.
Was Fürst Bülow dann anschließend über die Lützows und über die Töchter Gottlieb Jenischs sowie deren Schicksale berichtet, ist von einigen Unstimmigkeiten durchsetzt. Aus der Ehe von Gottlieb Jenisch mit Caroline, verw. Gräfin von Westphalen-Fürstenberg, geb. Frein von Lützow, gingen drei Töchter hervor. Die älteste Tochter, Emilie, genannt Emily, blieb unvermählt und war in Hamburg allgemein bekannt wegen ihrer Tätigkeit für die Wohlfahrtspflege und die Innere Mission (St. Anschar-Verein). Die zweite, Marie, vermählte sich mit dem Grafen Adolf Grote, der königlich hannoverscher Gesandter in Madrid war. Die jüngste Tochter Helene heiratete Otto Graf Vitzthum von Eckstädt. Gottlieb Jenisch bereitete den Seinen auf der "Bosto frohe Sommerzeiten.
Berend Goos, der zu Jenischs Besitzzeiten die Bost wiedersah, beschreibt diese : "Das alte Wohnhaus und sämtliche Nebengebäude sind verschwunden . . . Der Fahrweg hat nur bis zur Hälfte die alte Lage behalten, von da an, wo auf der Stelle des früheren sogen. tiefen Küchengartens, in dem vorzüglich Erdbeeren gezogen wurden, jetzt eine Gärtnerwohnung mit Stallräumen gebaut ist, ist er erhöht, biegt rechts ab und führt hinter das neue Wohnhaus. Die Wege im oberen Gartenteil sind ebenfalls verlegt, jedoch ist das Pförtnerhäuschen und seine nächste Umgebung unverändert geblieben, nur das hohe Lusthaus samt seiner Anhöhe ist verschwunden und daselbst, wie ich glaube, ein Eiskeller angelegt. Der lange Streifen, der beim neuen Lusthause die Einfahrt bildet, ist durch Bepflanzung mit Tannen sehr verschönert." Besonders berühmt war die von Jenisch in seinem Garten eingerichtete Ananastreiberei. Da damals auf den langsam fahrenden Frachtschiffen Ananas als verderbliche Ware nur selten und spärlich von Amerika eingeführt werden konnte, waren die von Jenisch gezogenen Früchte eine Kostbarkeit, womit dieser seinem Freundeskreis oft Freude bereitete.
Nach seinem Tode im Jahre 1875 verblieb die Bost im Besitz seiner Witwe Caroline Jenisch. Als diese 1882 das Zeitliche segnete, ging der Landsitz über in den Besitz von Gräfin Helene Vitzthum, geb. Jenisch, der dritten Tochter von Gottlieb Jenisch. Otto Graf Vitzthum, der aus Berlin stammte, war zunächst königlich preußischer Landrat, wurde 1867 königlich preußischer Kammerherr und 1877 Zeremonienmeister am preußischen Hof. Als solcher waltete er, der Bülow schreibt, viele Jahre . . . mit Eifer und Geschick bei Hoffesten seines Takt und Umsicht heischenden Amte. Seine Dienstzeit fiel hauptsächlich in die Zeit Kaiser Wilhelms I. Einige Jahre nach dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms II. schied der Graf aus dem Hofdienst aus. Er selber konnte das weiche Klima der Bost nicht gut vertragen und besuchte den Landsitz daher zwar alljährlich, aber meist nur im August und September. Dagegen nahm Gräfin Helene Vitzthum mit ihren Kindern regelmäßig vom 1. Mai bis 1. Oktober auf der Bost Auf enthalt. Graf und Gräfin Vitzthum waren infolge ihrer Stellung am preußischen Hof genötigt, während der Wintersaison viel zur höfischen Geselligkeit in Berlin beizutragen. Daher war der Auf enthalt auf der Bost für sie eine Zeit der Erholung, wo sie in Zurückgezogenheit lebten. Ein besonderes Ereignis auf der Bost bildete vom 30. Juni bis 1. Juli 1886 die Hochzeit der ältesten Tochter des Paares, der Gräfin Carola Vitzthum, mit dem damaligen Hauptmann ä la suite des Generalstabs und persönlichen Adjutanten des Prinzen Wilhelm (späteren Kaisers Wilhelm II.), Adolf von Bülow, dem späteren General. Dieser war ein jüngerer Bruder des Reichskanzles Fürsten Bernhard von Bülow. Die Hochzeit war eine Feier großen Stils. Am Abend erstrahlte der ganze Park der Bost in prächtiger Illumination. Die Kapelle des 3I. Infanterie Regiments aus Altona konzertierte. Ein prächtiges Feuerwerk wurde abgebrannt. Die Trauung erfolgte durch Pastor Paulsen in der Kirche von Nienstedten.
Otto Graf Vitzthum starb auf der "Bost" am 31. Mai 1906 und wurde auf dem Friedhof in Nienstedten beigesetzt. Gräfin Helene Vitzthum besaß den Landsitz noch bis zur Inflationszeit; wurde er von ihr verkauft. Die Gräfin zog sich nach Berlin zurück, wo sie am 8. Oktober 1933 starb. Sie wurde gleichfalls in Nienstedten beerdigt. Nach wiederholtem Besitzwechsel erwarb schließlich der Kaufmann Otto Hübner 1928 das Grundstück, das inzwischen freilich stark verkleinert worden war. Das Gelände des zur Anhöhe der Geest hinanführenden Weges war verkauft und aufgeteilt worden. Es ist inzwischen mit vielen Villenbauten besetzt. Das Wohnhaus selbst und der umgebende Garten (heute in de Bost) sind aber immer noch ein stattlicher Besitz. Der Eigentümer Otto Hübener und Frau Thekla, geb. Möring, haben das Haus im Innern völlig erneuert und es zugleich zum Bewohnen im Winter hergerichtet. Auf der Bost bildete sich neuerdings der Brauch aus, den ankommenden und ausfahrenden Dampfern durch ein Flaggensignal gute Fahrt zu wünschen. Zu der Entstehung dieses Brauches teilt der Sohn von Otto Graf Vitzthum, der in München lebende Zoologe Dr. Hermann Graf Vitzthum, der viele Jahrzehnte den elterlichen Landsitz mitbewohnte, folgendes mit: Gräfin Helene Vitzthum hatte von ihren Eltern einen Obergärtner Siegmund mit der Bost übernommen. Dieser Obergärtner hatte auf dem Landsitz weit über 50 Jahre gedient; er wurde von den Vitzthums im Alter von 75 Jahren pensioniert und starb, fast 100 Jahre alt, in Hamburg. Sein Sohn war Kapitän auf Schiffen der Kosmos-Linie, die den Dienst nach der Westküste von Nordamerika versah. Wenn der Sohn Siegmunds bei der Bost vorbeifuhr, gab er ein gewisses Signal mit der Dampfpfeife, und dieses Signal wurde von dem Vater mit einem gewaltig dröhnenden Kuhhorn erwidert. Auf dem Kuhhorn verstand nur der Vater Siegmund zu blasen; es diente eigentlich dazu, den Gartenarbeitern die Arbeitspausen anzuzeigen. Aus diesen Signalen scheint sich dann allmählich der Brauch, die Schiffe zu begrüßen, auf der Bost entwickelt zu haben.
1953 erwarb der Hamburger Reeder Rud. A. Oetker die Bost. Dieser geniale Kaufmann ist kein Hamburger. Er stammt aus Bielefeld, wo sein Großvater, der Apotheker Dr. Aug. Oetker, die heute überall bekannten Nährmittelfabriken (Backpulver und Puddingpulver) gründete. Er erzielte damit einen Riesenerfolg. Rud. A. Oetker, dessen Vater yI6 vor Verdun fiel, weitete die Unternehmungen seines Großvaters auf verschiedenen Handelsgebieten aus. Seine Konzerne sind führend in der Wirtschaft. Er entdeckte dabei seine besondere Liebe für die Schiffahrt und ist heute der bedeutendste Reeder der Bundesrepublik. Der Bau von großen deutschen Passagierschiffen ist eine Lieblingsidee seiner Planungen.
Die oBosto war in der Besatzungszeit von den Engländern beschlagnahmt. Nach der Freigabe ließ Rud. A. Oetker den Besitz durch Professor Cäsar Pinnau auf das sorgsamste in seiner ursprünglichen architektonischen Schönheit wiedererstehen. Die Innenräume stattete stilgerecht und einsichtig der Bielefelder Architekt Herzogenrath aus. Viele Kunstschätze, wertvolle Gemälde alter Niederländer, erhöhen den Reiz der vornehmen Räume. Der arg vernachlässigte Park, durch ein imposantes Schwimmbad bereichert, zeigt wieder seinen alten Zauber.
Die Familie des großen Reeders lebt abwechselnd im Stammhaus der Oetkers in Bielefeld und besonders in Sommerzeiten auf dem Hamburger Landsitz an der Elbe. Die Bost erlebt wieder fröhliche Feste, geistreiche Gespräche, witziges Plaudern im Kreise erlesener Gäste, Konferenzen, in denen weltweite Entschlüsse sich auswirken. Bei aller Liebenswürdigkeit im Umgang bleibt Rud. A. Oetker ein Besessener der Arbeit, unruhig wie der große Strom, der sich vor seinem Hause im Wellengetriebe ewig erneuert.