Geschichte der Familie Roosen

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Elbchaussee 435

Elbchaussee 435

DIE TESDORPF-BRANDTSCHEN UND ROOSEN-BIESTERFELDSCHEN LANDSITZE

Diese beiden schönen Landsitze sind die letzten auf Nienstedtens Flur, die aus älterer Zeit hier noch erhalten sind. Sie sind aus dem westlichen Teil des früheren Parishschen Parks hervorgegangen und zeichnen sich durch herrlichen alten Baumbestand aus. Der zwischen dem Elbstrom und der landeinwärts strebenden Chaussee verbleibende freie Geestrücken trägt weite Rasenflächen und abseits davon Gemüsegärten mit Dienerschaftsgebäuden. Die Wohnhäuser der beiden Besitzungen erheben sich ziemlich nahe beieinander am Abhang des Geländes nach der Elbe. In der jetzt Brandtschen Besitzung befindet sich ein idyllischer Weiher. Beide Grundstücke sind durch eine malerische Talsenkung, die Trundelberger Schlucht so, voneinander getrennt; doch haben die Besitzer, um die Schönheit dieser Landschaft nicht zu zerstören, kein Gitter gezogen. Lediglich auf dem Weg ist eine schmale Kettengrenze auf gestellt, die die Abgrenzung beider Besitzungen andeutet. In dem vormals Roosen-, jetzt Biesterfeldschen Grundstück fällt am Abhang ein Efeuhain auf. Zwischen der Biesterfeldschen und Brandtschen Besitzung war früher das Haus des Nienstedtener Pastorat eingegliedert mit sich anschließendem Obst- und Gemüsegarten. Das Haus, das sehr hübsche Räume enthielt und in späteren Jahren auch von Mitgliedern der Familie Brandt bewohnt wurde, ist inzwischen zum Abbruch gekommen.
Senator G. Godeffroy hatte, wie wir bereits erzählten, den ganzen Besitz um 1870 von George Parish erworben und den östlichen Teil seinem Schwiegersohn Vorwerk überlassen. Den westlichen Teil halbierte er nochmals und verkaufte davon das (von der Chaussee gesehen) links gelegene Stück (Elbchaussee 423) um 1877 an den Hamburger Senator Adolph Tesdorpf; das rechts gelegene Gelände (Elbchaussee 435) veräußerte er an den Hamburger Kaufmann Eduard Roosen. Der das gesamte Gebiet noch durchziehende alte Blankeneser Kirchenweg wurde dabei verlegt, und zwar verlief er jetzt längs der Nordwestgrenze des Eduard Roosenschen Besitzes.
Senator Adolph Tesdorpf 1811-1887) entstammte der Familie Tesdorpf, die den Hansestädten Lübeck und Hamburg bereits im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert hohe Beamte, Vögte und Bürgermeister gestellt hatte. Er war ein Sohn des Hamburger Oberalten Friedrich Jacob Tesdorpf (1781-1862) und ein Enkel des Lübecker Bürgermeisters Peter Hinrich Tesdorpf (1751-1832), des kenntnisreichen Handelsherrn und Staatsmanns, der in der Franzosenzeit seiner Vaterstadt wertvolle Dienste geleistet hatte. Er lernte als Kaufmannslehrling bei Leech and Harisson in Liverpool. Heimgekehrt, trat er in das väterliche Geschäft ein und brachte es, dank seiner kaufmännischen Begabung, bald zu großem Einfluß. In ihm, dem nachmaligen Senator, begegnen wir einer recht originellen Persönlichkeit. Er war, wie Oscar L. Tesdorpf in seiner Familienchronik der Tesdorpfs es begründet, von sittlichem Ernst und hoher Vaterlandsliebe beseelt, forderte die Einheit des Deutschen Reiches und erwartete von den Fürsten entsprechende Opfer. In ihm vereinten sich seltsame Gegensätze: Er war politisch konservativ und predigte zugleich einen wirtschaftlich gemäßigten Staatssozialismus. Er war ein vollendeter Kaufmann; aber er besaß wenig Menschenkenntnis und verschwendete viel Menschenliebe an Unwürdige. Er lebte äußerst anspruchslos und bescheiden und war doch, zumal als Schriftsteller und Politiker, von ziemlicher Eitelkeit. Er ließ seine zahlreichen Schriften anonym erscheinen, sorgte aber selbst dafür, daß überall bekannt wurde, wer ihr Verfasser sei. Er hinterließ ein Vermögen von 6,5 Millionen Mark und gab jährlich 30-40tsd Mark für mildtätige Zwecke aus; aber seine Mittagstafel für die Seinen und seine Gäste hielt er nicht nur sehr einfach, sondern auch knapp. Wenn er sich eine Droschke kommen ließ, gab er seinem Diener die Weisung, die schlechteste auszusuchen, weil ihr Lenker ohnehin am wenigsten damit verdiente. Als seine Gattin, die Senatorin Therese Tesdorpf, geb. Moenck, auf dem Harvestehuder Weg von einem Räuber überfallen und ihrer Uhr und Kette beraubt worden war, verzieh er dem Missetäter nicht nur, weil dieser - er war Schneider - vorgab, aus Nahrungssorgen gehandelt zu haben, sondern er ließ auch den ältesten Sohn auf eigene Kosten erziehen und versah die ganze Familie reichlich mit Geld und Arbeit. Aber er erntete nur Undank davon.
Mit seinen politisch-wirtschaftlichen Meinungen stand er zumeist allein. Seine Begabung lag auf kaufmännischem Gebiete, während er zeitlebens glaubte, an ihm sei ein Pädagoge und Volkserzieher verlorengegangen. Aber seine freundlichen Ratschläge eines älteren mit dem Leben vertrauten Mannes an alle Ehepaare und Eltern sowie die wesensverwandten Schriften an Konfirmanden u. ä. zeigen ihn ganz im Durchschnittsgeist der Zeit und erheben ihn "in keiner Weise über das Maß der alltäglichen Weltweisheit eines einfachen Landpastoren. Die Bücher konnten in ihrer prüden Art eher Unheil als Nutzen stiften.
Als das von ihm gegründete und zu hoher Blüte gebrachte Haus A. Tesdorpf & Co. 1876 sein bestes Jahr erlebt hatte, trat Senator Tesdorpf aus der Firma aus, weil er nunmehr glaubte, sein persönliches Leben auf höhere Werte, auf ein Gott zustrebendes Dasein konzentrieren zu müssen. Bereits 1862 war er aus dem Senat ausgeschieden, dem er von 1852 ab voll Hingabe an die ihm daraus erwachsenden Pflichten angehört hatte.
Er besaß in Hamburg ein Haus am Steinthorwall 7, wo auch sein Geschäftsräume waren, ferner ein über Sommer bewohntes Haus in der Badestraße an der Alster. Seine Ehe war kinderlos geblieben, doch hatte er zwei Mädchen adoptiert. Die ältere der beiden, Olga, heiratete den Hamburger Kaufmann Louis der Arts. Die jüngere, Mathilde, vermählte sich 1867 mit dem Hamburger Bürgermeisterr. Georg Mönckeberg (I83y-igo8). Als Senator Tesdorpf den Nienstedtener Besitz erworben hatte, ließ er sich dort durch den Architekten Breckelbaum 1873-74 ein größeres Landhaus im Geschmack der damals beliebten Nachahmung einer sogenannten "strengen Gotik", der "Hanseatischen Gotik, erbauen. Das Haus war dem alten Ehepaar eigentlich wesensfremd, aber er sowohl wie auch seine Gattin genossen den Aufenthalt in den von Sonne umfluteten Räumen und dem herrlichen Gelände in hohem Maße. Von dem hochgelegenen, einem Kloster ähnelnden Hause blickte man auf den ruhig dahinfließenden, breiten, schiffbelebten Elbestrom. In dem sich an den Abhängen weit hinziehenden Garten spendeten uralte Bäume erquickenden Schatten. Mancher dieser Bäume fiel der Axt in Adolph Tesdorpfs Händen zum Opfer; denn er liebte es von Jugend her, seinen Körper durch tägliches Holzhauen und Bäumefällen zu stählen.
Nach dem Tode seiner Witwe (1888) kaufte Augustus F. Brandt (1835-1904) den Besitz. In Archangelsk geboren, war er der Enkel des Reeders Wilhelm Brandt. Früh wurde ihm die Verantwortung für das verzweigte Geschäftsunternehmen auf die jungen Schultern gelegt; denn sein Vater starb, als er erst 22Jahre zählte. Als ältester und einziger erwachsener Sohn mußte er bei der großen Zahl der Familienmitglieder nicht nur seiner Mutter mit Rat und Tat zur Seite stehen, sondern zugleich das Geschäft in London und in St. Petersburg voll verantwortlich führen. Von 1857 bis 1865 leitete er - in London ansässig - beide Häuser, ab 1865 das Londoner Haus mit großem Erfolg. Seine hervorragenden kaufmännischen Fähigkeiten kamen zumal dem Londoner Bank- und Handelshaus Wm. Brandt's Sons & Co. zugute. Als er sich nach arbeitsreichem Leben aus Gesundheitsrücksichten vom Geschäft zurückzog, siedelte er 188o nach Hamburg, der Stadt seiner Väter, über, behielt aber auch dann noch aus der Ferne die Oberleitung des Londoner Unternehmens. Er erwarb die Nienstedtener Besitzung als Sommeraufenthalt; im Winter bewohnte er in Hamburg das stattliche Haus nahe der Alster, Neue Rabenstraße I. Er war vermählt mit Elisabeth, geb. Oesterreich (1835-1922), Tochter des zeitweiligen Leiters der russischen Reichskanzlei in St. Petersburg, Constantin August von Oesterreich. Sein persönlicher Charakter, seine Strenge in allen Angelegenheiten der Arbeit, verbunden mit Vornehmheit und Güte, sicherten ihm allgemein große Achtung und Beliebtheit. Nach seinem Tode bewohnte seine Witwe bis zu ihrem Ableben den Nienstedtener Landsitz. Darauf ging dieser auf den jüngsten Sohn, den Hamburger Kaufmann Ludwig W. Brandt (vermählt mit Louise, geb. Merck, der Tochter des Hamburger Syndikus Dr. Carl Hermann Jasper Merck), über3ss. Ludwig W. Brandt ließ den gotisierenden Prunk der Tesdorpfschen Villa fort nehmen. Dem sachlich schlichter gestalteten Haus fügte er eine breitere Terrasse und Veranda hinzu, von der man einen herrlichen Blick durch die hohen Baumgruppen des Parks auf den Elbstrom genießt. Erhalten ist auch noch das Kavalierhaus (Elbchaussee 427), das nahe der das ganze Grundstück abschirmenden Mauer ein in Grün eingesponnenes Dasein führt.
Der nachmalige Besitzer der westlichen Hälfte (Elbchaussee 435), der Hamburger Kaufmann Eduard Roosen (1852-1915) war ein Urenkel des Kaufmanns und Reeders Salomon Roosen I 1717-1795), der den Landsitz "Eichenlust" in Kleinflottbek besaß, und ein Sohn von Salomon Roosen II, der den östlichen der beiden benachbarten Roosenschen Landsitze in Nienstedten (Elbchaussee 386) innehatte. Bis 1893 war er Mitinhaber der Firma "Salomon und Berend Roosen und bewohnte im Winter sein Haus in Hamburg am Alsterglacis 15. Er war vermählt mit Emilie, geb. Lesser, einer Tochter des Altonaer Verlegers und dänischen Kommerzienrats Wilhelm Lesser (Inhaber des Verlages Hammerich & Lesser). Das Landhaus, das Eduard Roosen auf dem neuerworbenen Nienstedtener Grund in beherrschender Lage durch den Architekten Martin Haller erbauen ließ, war geräumig, aber entsprechend der traditionellen Schlichtheit der Roosens einfach und schmucklos gehalten. Anfang der 1880 Jahre kauften Eduard Roosen und etwas später Augustus Brandt die nördlich der Elbchaussee ihren Besitzungen gegenüberliegenden Koppeln hinzu, die noch eine Zeitlang die Anwesen von näherer Ansiedlung frei hielten. Um 1890, als die Elbufer durch die Wellen der immer größer werdenden Schiffe gefährdet wurden, ließen Roosen und mehrere andere Anwohner der Elbe am Strand die gemauerten Vorsetzen ausführen. Dadurch wurde den Gärten zwar der direkte Übergang zum Strand genommen; aber sie erhielten dafür eine breite, rasenbedeckte Strandpromenade, die heute Teil des Elbuferwanderweges geworden ist. Die gemauerten Vorsetzen der Brandtschen Besitzung stammen erst aus den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts; 1919 wurde die Besitzung von den Roosenschen Erben an den Hamburger Kaufmann W. E. H. Biesterfeld verkauft, der das alte Haus teilweise erneuerte und es zumal im Innern überaus geschmackvoll einrichtete.
W. E. H. Biesterfeld und seine Frau, die viele Beziehungen in Deutschland und im Ausland unterhielten, sahen häufig Freunde in' ihrem Hause, denen damit Gelegenheit geboten wurde, die landschaftlichen Schönheiten des Elbufers an einem seiner hervorragendsten Punkte zu genießen. W. E. H. Biesterfeld, ein geborener Altonaer, hat die gärtnerische Anlage wesentlich in ihrer früheren Form erhalten, daneben aber hat sie durch seltene Blumenbeete und neue Aussichtsplätze wesentlich gewonnen.